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Vorderer Brochkogel, 3565 Meter

Der Vordere Brochkogel in den Ötztaler Alpen ist nicht nur vergleichsweise einfach zu besteigen, sondern erstaunlicherweise auch vergleichsweise selten besucht. Im Rahmen eines Geburtstagsbiwaks war der 3.565 Meter hohe Berg nun fällig. 

Um viertel nach sechs Uhr abends starten wir die Tour in Vent. Es wölkt, es nebelt – keine Ahnung, ob das mit dem Wetter so klappen wird wie wir uns das vorstellen. Wenigstens zum Fotos schießen ist die Stimmung einmalig!

Eine nette Vierertruppe ist das heute, mein Bruder Urs, mein Cousin Martin und Gunther, ein alter, guter Freund aus Kindergartentagen. So stiefeln wir in Gespräche vertieft hinauf „auf Stablein“, lassen die verwaiste Bergstation des Sessellifts links liegen und erspähen bald die Breslauer Hütte. Am „Basecamp“ der Wildspitze ist etwas mehr los, doch wir lassen die beeindruckend große Hütte rechts liegen. Es steht ein anderer Gipfel auf dem Plan.

Für gemütliche Gipfelschau ist keine Zeit, denn wir wollen vor dem Eindunkeln einen schönen Biwakplatz finden. So queren wir über den Seufertweg die blockige Moränenlandschaft des Mitterkars. Auch hier wabern die Nebel, und wir queren fast das komplette Kar, um fast unmittelbar neben der Abzweigung des Pfads zum Vorderen Brochkogel auf ca. 2.820 Metern unser Biwak aufzuschlagen.

Zwei schlafen im Zelt, zwei schlafen im Freien im Biwaksack. Ein Kilo Nudeln muss daran glauben, zum Nachtisch gibt es Mousse au Chocolat. Schwechater und Ottakringer runden den Abend ab, nachdem ich heute Geburtstag habe, wird auch noch ein Piccolo geköpft!

Gipfeltag

Bald liegen wir mehr oder weniger intensiv schnarchend in den warmen Schlafsäcken – natürlich nicht ohne vorher den Sternenhimmel eingehend bewundert zu haben. Hat es in der ersten Nachthälfte noch unter Null Grad, steigt die Temperatur im Nachtverlauf spürbar. Als ich gegen 5 Uhr aufwache, stecken wir in dichtem Nebel.

Eine kurze Sondierungsrunde bis auf 2.950 Meter bringt mich jedoch schon in sonnige Gefilde, und die Atmosphäre des anbrechenden Morgens raubt uns allen den Atem. Mit Kaffee aus der Espressomaschine (!), Kuchen und Birchermüsli sind wir schnell startklar und stiefeln bereits um 7:20 Uhr gen Berg.

Die Meinungsverschiedenheiten vom Vortag über die korrekte Routenfindung lösen sich schnell auf. Die Route führt die gewaltige 1870er Seitenmoräne des Mitterkarferners hinauf, ehe sie nach Westen abbiegt und durch Wannen und durch Blockgelände den unten recht breiten Südsüdostgrat des Vorderen Brochkogels erreicht. Steinmanndln erleichtern die Orientierung, das aufklarende Wetter gibt uns ungeahnte Motivationsschübe!

Was für eine Sicht!

Für meinen Bruder ist es die erste Hochtour seit langer Zeit, Martin und ich haben vor einem Jahr mit dem Wilden Freiger die letzte gemacht, allein Gunther ist ein Ötztal-Routinier.

Schälte sich zunächst nur die Talleitspitze aus dem Nebel, kommt langsam alles zum Vorschein, was Rang und Namen hat. Bei einer Pause auf 3300 Metern kommen wir aus dem „Ah“ und „Oh“ gar nicht mehr heraus: die Ramolkögel, Spiegelkögel, Firmisanschneide, Schalfkogel, Similaun, Fineilspitze – alle liegen sie unter einem wolkenlosen Himmel, leicht bestäubt vom letzten Schneefall.

Wir kraxeln weiter den anregenden, nie schwieriegen Gratrücken hinauf, erreichen den Vorgipfel mit Stange und über ein kleines, ungefährliches Firnfeld den Südgipfel. Auf Höhenlinie geht es schließlich hinüber zur „Schlüsselstelle“, einer etwas ausgesetzten 1-, ehe wir nach rund 2 1/4 Stunden am Gipfel des Vorderen Brochkogels auf 3565 Metern ankommen. Auch hier: Stehen und Staunen. Speziell die Sicht auf Weißkugel, Hochvernagtspitze, Hinteren Brochkogel und Wildspitze ist bezaubernd.

Verbogener Abstieg

Nachdem wir zusammengerechnet 6 Kinder zu versorgen haben und zügig wieder Zuhause sein wollen, fällt die Gipfelrast recht kompakt aus. Bald turnen wir wieder hinab, treffen ein paar andere Bergsteiger, die offensichtlich von der Vernagthütte gestartet sind, und steuern unseren Biwakplatz an.

An einer eigentlich harmlosen Stelle löst sich ein größerer Block und rollt im Zeitlupentempo über meinen Trekkingstock, der sich unter ihm verkeilt hatte. Ich bekomme gerade noch rechtzeitig die Hand aus der Handschlaufe, ehe das ordentlich schwere Ungetüm aus meinem Stock Kleinholz macht. Er schaut jetzt eher aus wie eine Banane, der Griff mit Schlaufe ist abgebrochen. Adieu, Black Diamond-Stock!

Der Schreck sitzt tief, und etwas verdattert stolpere ich hinab zum Biwakplatz, packe Zelt, Kochausrüstung und Schlafsack und muss mich erstmal wieder einkriegen. Ich sah meine Hand schon von 100 kg Fels „verformt“.

Es ist immer noch ein strahlend schöner Tag, und entsprechend viele Leute wandern von der Sesselbahn „Auf Stablein“ die rund 500 Höhenmeter hinauf zur Breslauer Hütte. Was hier auffällt, ist die Internationalität. Ist bei uns im Tölzer Land ein Engländer oder Asiate schon echt „exotisch“, ist die Touri-Zusammensetzuung im hintersten Ötztal doch weit internationaler. Die Berge sind hier einfach spektakulärer, können mit mehr Superlativen aufwarten und werden mit einem Budget vermarktet, das wahrscheinlich dem BIP des gesamten Tölzer Landkreises entspricht. 😉

Zum Glück können wir den breit ausgetrampelten (und durch den Bau eine Abwasserkanals künstlich verbreiterten) Normalweg zur Breslauer bald verlassen und gehen den steilen Pfad hinab zu den Rofenhöfen. Martin und ich überlegen, wann wir hier das erste Mal zur Wildspitze rauf sind. 1999? Kann das sein? Wir einigen uns auf 2000. Ist wenigstens nicht ganz so lange her…

Wir nehmen noch die beeindruckende Hängebrücke über die Rofenache mit und erreichen gegen 14 Uhr wieder das Auto am Ortseingang von Vent.

Abschließende Gedanken:

  • Der Vordere Brochkogel ist ein wunderbarer, bis auf die ausgesetzte 1- Stelle nie schwieriger „Trekking“-Dreitausender
  • Mangels Gletscherkontakt kann das Gewicht der Ausrüstung ordentlich reduziert werden
  • 1 kg Nudeln reicht für vier Leute 😉
  • Die Tourimassen in Sölden im August hauen einen inzwischen echt von den Socken (aber streng genommen sind wir ja selbst welche…)

Technische Daten zur Tour:

  • Anstieg: Normalweg über den Südgrat
  • Schwierigkeiten: eine Stelle 1-, sonst einfacher Blockgrat
  • Benachbarte Gipfel: Wildspitze, Hinterer Brochkogel, Fluchtkogel, Petersenspitze, Hochvernagtspitze u.v.m.
  • Übernachtungsmöglichkeit: Breslauer Hütte, Vernagthütte
  • Gehzeiten: Vent-Breslauer Hütte ca. 2-2,5h; Breslauer Hütte-Vorderer Brochkogel ca. 2,5-3h

Ausrüstung u.a.:

GPS-Track vom Aufstieg ab Biwak und vom Abstieg:

https://connect.garmin.com/modern/activity/1292830252

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