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Zurück zur Mobilität!

Mobilität. Was ist das eigentlich? Für den modernen Menschen ist Mobilität hauptsächlich Automobilität und damit die Art und Weise, wie man schnellstmöglich auf vier Rädern von A nach B kommt. Der in Wien lehrende Professor Hermann Knoflacher fordert in seinem Buch „Zurück zur Mobilität!“ jedoch eine Rückbesinnung auf die dem Menschen inhärente geistige Mobilität – was in erster Linie ein infrastrukturelles Umdenken bedeutet. Gedankengänge. 

Am Anfang war: Das Auto. Als in Deutschland lebender Mensch kommt man zwangsläufig zu der Einsicht, dass nicht der Mensch und sein Lebensraum im Vordergrund aktueller infrastruktureller Planungen und Bauvorhaben steht, sondern weiterhin das KFZ. Weitere Straßen werden gebaut, weitere Parkplätze angelegt, weitere Tunnel gebohrt, weitere Flächen versiegelt. Und das, wo die Anzahl der in Deutschland lebenden Menschen keine großen Sprünge macht.

Anstatt das Auto aus dem Lebensraum des Menschen zurückzudrängen und dem Menschen (wieder) mehr Platz zum Atmen und zum Leben einzuräumen, wird den Autos allen Beteuerungen zum Trotz nach wie vor Tür und Tor geöffnet. In der Stadt sind die fatalen Folgen dieser über Jahrzehnte betriebenen Fehlplanung besonders augenfällig, man kommt als Radfahrer und Fußgänger im wahrsten Sinne des Wortes nicht um das Auto herum. Verstopfte Straßen, verpestete Luft, Innenstädte, die an der Last des Verkehrs halb ersticken. Man kommt als kritisch denkender Mensch zudem zwangsläufig zu der Frage, warum sich der Mensch das eigentlich antut.

Bequemlichkeit

Nun, das Auto ist bequem, und Menschen denken gerne bequem. Man muss sich als Autobesitzer nicht anstrengen – es sei denn bei der Parkplatzsuche. Reinsetzen, Zündschlüssel drehen oder -Knopf drücken und schon geht’s los. Zumindest bis zum ersten Stau. Dass Bequemlichkeit nicht zwangsläufig zu großartigen Konsequenzen führt, dürfte spätestens seit der Jahrtausendwende jedem bekannt sein. Klimaerwärmung, Adipositas, Ressourcenknappheit – alles negative Folgen von Bequemlichkeit respektive Maßlosigkeit. Viele Menschen haben verlernt, sich einzuschränken, und das ist auch das zentrale Problem des Autos. Es ist bequem, es hat Prestige – die Konsequenzen für Ressourcen, Umwelt und Gesundheit werden ausgeblendet und fallen Menschen, die mit dem Auto von Kindesbeinen an sozialisiert wurden, nicht weiter auf.

Als Deutscher habe ich den Eindruck, als ob viele Mitbürgerinnen und -Bürger das Auto als Selbstverständlichkeit und gottgegeben ansehen. Dabei ist es in erster Linie eines: Ein Produkt. Ein Produkt der Autoindustrie, die uns die enorme Wichtigkeit und Unverzichtbarkeit unseres Lieblingskindes ein ums andere Mal einbläut. Eine Selbstverständlichkeit ist es jedoch sicherlich nicht, denn die Kollateralschäden des Autowahns sind unübersehbar und können derzeit eindrücklich in Smog-verpesteten chinesischen Innenstädten besichtigt werden.

Tu Felix Austria?

Professor Knoflacher wirft in „Zurück zur Mobilität!“ einen Blick auf die Ausgaben österreichischer Haushalte. Er macht deutlich, welche Wirtschaftsmacht das Auto inzwischen im menschlichen Lebensgefüge eingenommen hat. 15% der österreichischen Haushaltsausgaben wanderten in Benzin und Wartung, 10,7% in Kinder und Nachwuchs und nur 0,3% in die Bildung (2004, Angaben nach Knoflacher). In den Gemeinden Österreichs werden im Verkehrssektor rund 70% der Ausgaben in den Autoverkehr gesteckt, in Deutschland dürfte es nicht viel besser aussehen. Da drängt sich die Frage auf: Gibt es denn im menschlichen Dasein nichts Wichtigeres als das Auto? Es gibt in der Tat Wichtigeres. Ich möchte drei Dinge nennen:

1. Die menschliche Gesundheit, die an erster Stelle stehen sollte. Dazu zähle ich körperliche Gesundheit und seelische Gesundheit. Knoflacher macht eindrucksvoll deutlich, dass das Auto zum einen Umweltschäden mitverursacht und zum anderen dazu beigetragen hat, dass sich der Mensch von seiner inherenten Fortbewegungsart, dem Laufen und zu Fuß gehen, entfremdet hat.

2. An zweiter Stelle steht das menschliche Fortbestehen im Einklang mit der Natur. Das, was an Restnatur in Deutschland noch da ist, sollte bestmöglich vor weiterer automobilistischer Verbauung geschützt werden (Stichwort: Isental).

3. Nachwuchs. Wie soll ich meinen Kindern einmal erklären, warum die Menschheit der Liebe zum Verbrennungsmotor Gletscher, unberührte Natur und über Jahrhunderte gewachsene, fußgängerfreundliche Stadt- und Landschaftsbilder geopfert hat?

Sind Autos sinnvolle Fortbewegungsmittel?

Hermann Knoflacher hat sich in den letzten Jahrzehnten kritisch mit den Auswirkungen des Autoverkehrs auf die menschliche Lebenswelt beschäftigt. Medienwirksam hat er sein „Gehzeug“ in Szene gesetzt, ein tragbares Holzgestell, dass die Ausmaße eines durchschnittlich großen Autos hat. Mit diesem „Gehzeug“ ist er regelmäßig in österreichischen und deutschen Innenstädten unterwegs um zu demonstrieren, wie viel Lebensraum ein einziges Auto dem Menschen raubt. Mit seinem Buch „Virus Auto“ sorgte er für Aufsehen, als globaler UN-Fußgängervertreter hat er sein Leben dem Kampf für die Interessen der Fußgänger gewidmet.

Auch ich bin als leidenschaftlicher, überzeugter und begeisterter Radfahrer, Fußgänger und Läufer alles andere als ein Autofan. Zwar liebe ich das Gefühl, am Steuer eines Autos Destinationen plötzlich in erreichbarer Nähe zu haben, die mit Rad und den „Öffis“ kaum zu ereichen sind (obwohl ich mich auch schon wieder dabei ertappe, dass das auch nur eine Ausrede ist. Es sind viel mehr Orte mit dem ÖPNV zu erreichen, als man landläufig glaubt). Zusammengerechnet komme ich in einem durchschnittlichen Jahr aber auf nur zehn Tage, an denen ich mit dem Mietwagen Dinge erledige, die zu Fuß und mit dem Rad nur schwer zu machen sind (Möbeltransporte zum Beispiel).

Regelmäßig beobachte ich an stark befahrenen Münchner Straßen, wie viele Menschen speziell im Berufsverkehr alleine in Autos unterwegs sind – und das womöglich jeden Tag. Hochgerechnet finden sich unter zehn Autos idealerweise zwei, in denen mehr als nur der Fahrer selbst sitzt. Das Auto ist dominant. Es dominiert menschliches Fortbewegungsdenken. Das wirft natürlich Fragen auf:

1.  Sind Autos für alle Distanzen und in allen Regionen sinnvolle Fortbewegungsmittel? Ein Bruchteil der Autos, die sich derzeit in Betrieb befinden, können aus ökologischen Gesichtspunkten als sinnvolle und nachhaltige Fortbewegungsmittel angesehen werden – nämlich Kettcars. Würde stattdessen mehr Geld in den ÖPNV fließen und die Öffis als angenehme Alternative stärker wahrgenommen, würde der tagtägliche Einsatz vieler Autos obsolet.

2. Die deutsche Autoindustrie konnte aufgrund ihrer Marktmacht und ihrer Rolle als übergroßer Arbeitgeber über die Jahre hinweg ein Proporzdenken entwickeln, dass in der deutschen Wirtschaftslandschaft wohl einzigartig ist. Ihr wird sozusagen schon qua Amt Tür und Tor geöffnet, wenn es beispielsweise um CO²-Grenzwerte geht. Unserer aktuellen Regierung sei Dank bleibt Deutschland ein von Interessen der Autoindustrie manipuliertes Land.

3. Autos sind nach wie vor massive Luftverschmutzer. Wenn ich als Läufer, Radfahrer und Fußgänger in der Stadt unterwegs bin, frage ich mich inzwischen sehr oft: Was gibt den Autofahrern das Recht, meine wertvolle Atemluft zu verpesten – und das ohne schmerzhafte Konsequenzen für sie selbst? Warum gibt es beispielsweise keine Krebs-Verursachersteuer?

4. Platzraub. Der Platz in der Stadt (und auf dem Land) ist wertvoll. Anstatt Innenstädte wieder bewohnenswert zu machen, wird dem Autoverkehr der Weg geebnet, jahrelang um die Anlage von Radwegen wie in der Münchner Rosenheimer Straße (wo es schon Todesfälle gab) gestritten und Milliarden in die Unterhaltung von aufwändigen Bauten gesteckt, die im sozialen Bereich – Stichwort Kita – deutlich besser angelegt wären. Folge ist der alltägliche Spießrutenlauf, den man als Fußgänger und Radfahrer in der Innenstadt mitmachen muss.

5. Intellektuelle Verkümmerung. Es soll Leute geben, die einen Kilometer mit dem Auto zum Bäcker fahren. Warum? Das Auto hat die Denksphären nicht nur der Deutschen derart durchdrungen, dass umweltfreundliche und vor allem gesundheitsfördernde Verkehrsmittel wie das Rad unzureichend als Alternative wahrgenommen werden. Dass auch zu Fuß gehen eine schöne Fortbewegungsart sein kann, die einem die Umgebung aus einer ganz neuen Warte näher bringt, ist vielerorts leider in Vergessenheit geraten.

6. Machtmonopol. Alle Achtung: BMW, Mercedes&Co haben gute Arbeit geleistet und mit Millionen und Abermillionen von D-Mark und Euro das Auto derart geschickt in Szene gesetzt, dass es „der Deutschen liebstes Kind“ geworden ist. Die Folgen: Ehe den „großen Drei“ auch nur ein Stein in den Weg gelegt wird, knien Politiker nieder und lecken Managern die Schuhe.

7. Autos sind allein aufgrund ihrer Größe in einer verkehrstechnischen Machtposition. Ich als Radfahrer bekomme tagtäglich mit, wie dem Auto aufgrund seiner stahlgewordenen Masse eine infrastrukureller Vorteil  eingeräumt wird, den ich nicht akzeptieren kann und will. Das hört sich albern und todessehnsüchtig an? Nun, warum sollte ich als Radfahrer nicht genau die gleiche Aufmerksamkeit und genau den gleichen verkehrstechnischen Spielraum vom Autofahrer verlangen, die ihm zusteht? Leider hat jahrzehntelanges Autodenken dazu geführt, dass die deutsche Straßenlandschaft größtenteils Auto-optimiert ist. In München zeigen sich zum Glück erste Änderungen wie das Paradebeispiel Kapuzinerstraße oder erste Fahrradstraßen, wo Radfahrer auch nebeneinander fahren dürfen und Autos zurückstecken müssen. Die Wirkung der Umbaumaßnahmen ist erstaunlich. Die zwei Fahrstreifen, die den Autos zugunsten der Radfahrer in der Kapuzinerstraße abgezwackt wurden, geben einem als Radfahrer plötzlich das Gefühl, wahrgenommen zu werden, angekommen zu sein, akzeptiert zu werden. Interessant wird es jedoch bei den Fahrradstraßen, denn hier kommt es auf ein Umdenken im Fahrverhalten an, eine räumliche Trennung von den Autos ist nicht vorhanden. Bisher tu‘ ich mir zumindest schwer, den mir als Radfahrer dort eingeräumten Raum auch einzunehmen und zum Beispiel seelenruhig in der Straßenmitte zu fahren, wenn ein dickes SUV hinter mir fährt. Das Auto ist für Fußgänger und Radfahrer eben auch eine Lebensbedrohung  – und das muss sich ändern!

Sinnvolle Kritik?

Professor Knoflacher versteht es in seinen Büchern, zuzuspitzen. Das Problem dürfte sein, dass er eingefleischten Autogegnern jede Menge Munition liefert, begeisterte Autofahrer mit seinen Schriften jedoch kaum zum Umdenken bewegen wird. Sarkasmus ist wohl angesichts vieler Entwicklungen angebracht, sobald er jedoch auch nur minimal ins Polemische abdriftet, schießt sich Knoflacher ins eigene Bein. Ich bewundere den Mann für seine Hartnäckigkeit, kann mir jedoch vorstellen, dass sich noch mehr Türen und Ohren öffnen würden, wenn er diplomatischer an die Sache herangeht. Ich kenne ihn leider nicht persönlich und würde mich freuen, einmal mit ihm selbst über die Thematik zu sprechen. Vielleicht ergibt sich bei einer Lesung einmal die Gelegenheit.

Fazit: Autodominanz ade!

Autos sind, entgegen dem, was uns die Werbung suggerieren will, kein unbedingt notwendiges Lifestyleprodukt. Ganz im Gegenteil, Autos sind im Grunde Deathstyle, wenn man im Hinterkopf behält, dass in Deutschland jährlich rund 4.000 Personen (lt. statistischem Bundesamt) im Zusammenhang mit Autounfällen sterben, von den Folgen für die Atemluft und den Klimawandel einmal abgesehen. Eine Welt ohne Autos ist Utopie. Keine Utopie sollte hingegen sein, den Autoverkehr auf ein vernünftiges Maß zurechtzustutzen, die Innenstädte wieder lebenswerter und bewohnbarer zu machen und unseren Kindern eine Mobilitätswelt zu hinterlassen, die nicht mehr vom Auto dominiert wird!

Literaturtipps:

Hermann Knoflacher: Zurück zur Mobilität!

Hermann Knoflacher: Virus Auto

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