Tour d’Israël – mit dem Rennrad durch Israel
Israel mit dem Rennrad – was für eine Idee! Mein Freund Terry Swartzberg rennt – oder besser fährt – sofort offene Türen ein, als er mich zu einer Radreise zwischen Tel Aviv, Jerusalem, Totem Meer und Negev-Wüste einlädt. Nur vier Flugstunden entfernt lauert ein echtes Abenteuer und eine Reise, die neue radfahrerische Horizonte eröffnet.
Tag 1: Wo ist Roy?
Meer, das ist überall nur Meer. Dann, endlich: Strand, Häuser, Bewässerungsgräben, eine Autobahn. Wir landen auf dem Tel Aviv Ben Gurion Airport. Es ist das erste Mal für mich, dass ich im Nahen Osten und in Vorderasien überhaupt unterwegs bin. Welch Vorfreude!
Erstaunlich schnell lassen wir die Passkontrolle hinter uns und nehmen unsere unversehrten und unverpackten Rennräder entgegen. Auf Empfehlung der Fluggesellschaft haben wir unsere beiden Renner nämlich in keinen Karton gesteckt, was beim Abflug am Satelliten-Terminal F in München schon früh am Morgen zu unangenehmen Zerwürfnissen mit einer renitenten Schalterdame führte. Nun haben wir es aber bis in die Schalterhalle des Ben Gurion Airport geschafft und die warme israelische Sonne lockt uns auf den Vorplatz des Flughafens. Doch wo ist Roy?
Roy hätte uns eigentlich abholen sollen. Als Vertreter der Israeli Cycling Federation stand ich vor der Abreise mit ihm in Kontakt – er gab wertvolle Tipps zur Routenführung und wollte uns am ersten Tag vom Flughafen aus ein Stück begleiten.
Straßenkampf
Es dauert eine Weile, bis wir abfahrbereit sind. Pedale werden angeschraubt, Lenker gerade gedreht, 4 x 11 bar (oder das, was wir ohne Manometer dafür halten) in die Reifen gepumpt. Doch Roy taucht nicht auf. Ein kurzer Anruf – er hat die Grippe. Dann eben ohne Roy…
Wie viele andere Flughäfen ist Ben Gurion nicht unbedingt auf die An- und Abreise per Fahrrad ausgelegt. Vierspurige Straßen und verschlungene Brücken wo man auch hinblickt. Mittendrin wir – auf der Suche nach der ominösen Straße mit der Nummer 443, die uns Richtung Jerusalem führen soll.
Terry hat sich praktischerweise am Flughafen eine israelische SIM-Karte zugelegt, und so navigieren Stück für Stück gen Osten Richtung Berge, die sich schon aus der Ferne am Horizont abzeichnen. War der Verkehr am Flughafen noch moderat, wird er schnell dichter. Immer mehr kleine Straßen pumpen immer mehr Autos auf immer größere Straßen. Zumindest fühlt es sich für mich als komfortgewöhnten oberbayerischen Nebenstraßenradler so an.
Den Start haben wir jedenfalls uns jedenfalls anders, geruhsamer vorgestellt. Die Straßen sind viel stärker befahren als wir mutmaßten und als sich von unserer eigentlich recht guten Karte beurteilen ließ.
Endlich, endlich sind wir an der Abzweigung der 443 von der 444 südlich von Beit Nehemia angekommen. Ab hier müsste es doch eigentlich gemütlicher zugehen? Weit gefehlt. Die 443 entpuppt sich als gefährliche Schnellstraße, die sich in ständigem Auf und Ab durch die judäischen Berge schlängelt. Langsam naht der Feierabend, entsprechend schnell sind Autos, Lieferwägen und Schwerlaster unterwegs. Alles will nach Hause – und wir sind geschockt, dass sich das antizipierte Sträßchen als radfahrerischer Alptraum entpuppt.
Nach ca. 25 km erreichen wir die Stadt Modi’in. Kapitulation! Wir haben keine Lust mehr. Für umgerechnet 70 Euro nehmen wir uns ein Taxi nach Jerusalem. Erstaunlich, wie gut zwei Rennräder (mit herausgenommenen Laufrädern) in einen Stufenheck-Passat passen.
Mit dem Rennrad in Jerusalem
Der Taxifahrer drückt auf die Tube, dass uns die Ohren schlackern. Ein Checkpoint verrät nach wenigen Kilometern, dass wir nun in der West Bank unterwegs sind. Vielleicht gar keine so schlechte Idee, hier schneller hindurchzuhuschen als wird das ursprünglich geplant hatten. An der Tankstelle, an der wir das Taxi riefen, erzählte man uns, dass an der 443 öfters mal die Steine fliegen. Alles nicht ganz so einfach hier, aber das ist ein anderes Thema. Wir sind nicht zur Beurteilung innerisraelischer Konflikte hier, sondern zum Radeln!
Jerusalem zeigt sich als schwer fassbare, wehrhaft wirkende Stadt. Allein schon per Auto in diese Stadt zu fahren fühlt sich an, als würde man eine Bastion einnehmen wollen. Felsfluchten, Tunnel, Steilhänge, tief eingeschnittene Tälchen. Am Ende tut sich der Fahrer schwer, die Straße unseres Air BnBs in der „German Colony“ zu finden, eine im 19. Jahrhundert von deutschen Templern angelegten Siedlung.
Unser Air BnB entpuppt sich als ganz hübsch – nur im Bad schimmelt es, dass‘ der Sau graust. Na lecker! Egal, Hauptsache ein Bett und eine kuschelige Decke. Schnell haben wir uns reorganisiert, akklimatisiert und frisiert. Los geht’s zu Fuß Richtung Old City.
Schnell verfällt man dem Zauber dieser Stadt. Jede Gasse, jeder Stein, jeder Baum scheint Geschichte zu atmen. Spätestens beim Anblick der Klagemauer und der Al Aqsa-Moschee bekomme ich ein flaues Gefühl im Magen. Wie oft habe ich diesen Ort schon im Fernsehen gesehen? Und jetzt stehe ich einfach hier und staune.
Wir mischen uns unter die Betenden an der Mauer und drehen anschließend noch eine große Runde durch die dunklen Gassen der Old City. Leider, leider haben wir viel zu wenig Zeit für Jerusalem. Gegen 23 Uhr sinken wir in unsere Betten. Ich will wiederkommen!
Tag 2: Die Reise zum tiefsten Punkt der Erde
Hand auf’s Herz – der erste Tag mit den grausamen Straßen hat mich desillusioniert. Am Vorabend im Bett überlegte ich schon, die Route komplett umzuwerfen. Aber wir sind ja nicht zum Spaß hier, wir haben eine Mission!
Außerdem ist heute ein neuer Tag. Der Schlaf hat das Gedächtnis reingewaschen – also frisch auf’s Rad. Schon um 6:45 Uhr sind wir wieder auf Achse. Klirrend kalte, klare Morgenluft macht die Fahrt durch die aufwachende Stadt zur echten Erfrischung. Wir sind sowas von motiviert!
Den Weg zur Altstadt kennen wir bereits. An der Stadtmauer entlang erreichen wir Ostjerusalem. Doch wo lang geht es jetzt? Wir wollen zügig die Straße Nummer 1 Richtung Totes Meer erreichen. Möglichst ohne Schlenker und Schnörkel, denn heute steht die längste Etappe der gesamten Reise mit über 150 km auf dem Plan. Nur ist das bei dem Straßenwirrwarr, dem überaus hügligen Relief (München ist im Vergleich zu Jerusalem flach wie ein Brotzeitbrettl) und dem anbrausenden Berufsverkehr leichter gesagt als getan.
So tasten wir uns mit Google Maps Straße für Straße vor, nur um am Ende feststellen zu müssen, dass die eingangs eingeschlagene, extrem hügelige Route in einer Sackgasse endet. Mist! Es bleibt uns nichts anderes übrig, als einen großen Haken nach Westen zu schlagen, um schließlich in einem Bogen wieder auf die 1 zu treffen bzw. eine Auffahrt zu erreichen, die mit Rädern befahrbar ist. Zum Glück hilft uns israelisches Militär bei der Suche. „Tudah!/Danke!“
Kadima, Kadima!
Endlich, endlich sind wir auf der ersehnten Straße. „Dead Sea“ steht auf einem Schild – ja, richtig, da wollen wir hin. Und wie schnell das geht. Getreu unserem Motto „Kadima, Kadima“ (hebr. sinngemäß „vorwärts“) preschen wir hinab. Jerusalem liegt auf ca. 850 Metern über dem Meeresspiegel – am Rand des Toten Meeres sind wir auf 400 Meter unter dem Meeresspiegel (das Tote Meer selbst liegt auf ca. -445 Metern, wir erreichen aber erst später dessen Ufer).
Entsprechend geht es runter, runter, runter. In konstantem Gefälle, auf ca. 25 km Strecke. Mit eingezogenem Kopf probiere ich aus, was geschwindigkeitstechnisch so drin ist. Mit meinem doch recht voluminösen Rucksack komme ich auf 65 Sachen. Immerhin. Ehe wir es uns versehen, werden wir von der 1 an der Abzweigung der 90 im Jordantal ausgespuckt und cruisen durch Dattelplantagen Richtung En Gedi, einer Oase unterhalb der legendären Wüstenfestung Masada.
Schnell sind wir der Faszination Jordantal erlegen. Der Verkehr ist moderat, links glitzert etwa 50 Meter unter uns das Tote Meer mit zahlreichen Buchten und bedrohlich anmutenden Sinklöchern, rechts streben die judäischen Berge viele hundert Meter in den tiefblauen Himmel. Dazwischen wir, auf einer sich windenden Straße, die mit spannenden Zwischenanstiegen aufwartet. Die Fernstraße musste aufgrund des sinkenden Meeresspiegels hier und da verlegt werden und läuft nun, anstatt flach am Meer entlang zu führen, in mitunter recht spektakulären Schlaufen die Steilhänge hinauf und wieder hinab.
Zu Shkedi
En Gedi lassen wir rechts liegen und pausieren erst wieder in Ein Bokek, einer surral anmutenden Hotelsiedlung mit Salzwasser-Kurbetrieb. Terry schiebt sein Rad spontan in ein Einkaufszentrum, in dem sich ein Restaurant befindet. Mich will die Security ein paar Minuten später nicht hineinlassen. Also gibt es leider ein getrenntes Mittagsessen…
Nach reichlicher Nahrungs- und Wasseraufnahme – ich saufe mehr als zwei Liter auf einmal weg – sind wir wieder auf Achse. Nach wenigen Kilometern erscheint ein gigantischer Industriekomplex, ein dampfendes Wirrwarr aus Röhren und Schloten, am Straßenrand. Zwischendrin gigantische Salzhäufen, ja Salzgebirge. Dead Sea Works, der viertgrößte Kaliproduzent der Welt, wird unsere weitere Reise nachhaltig beeinflussen.
Die finalen Kilometer nach Neot HaKikar, unserem nächsten Zielort, ziehen sich in die Länge. Schon die ganze Zeit passieren wir biblische Schauplätze – wie in Israel auch nicht anders zu erwarten. Sodom soll hier gelegen haben, eine Felsformation am Straßenrand heißt „Lots Wife“.
Endlich, endlich erreichen wir die Abzweigung nach Neot. Endspurt zu Shkedi’s Camplodge, auf die ich mich schon die ganze Zeit gefreut habe, so einladend sah sie im Internet aus. Die nette Lodge enttäuscht mit ihren verstreuten Hüttchen die Erwartungen nicht im geringsten. Schattige Bäume, gemütliche Polstersessel, der Charme eines Hippie-Wüstencamps – genau das, was wir jetzt brauchen.
Lodge-Boss Gil Shkedi himself empfängt uns mit zwei hübsch gekühlten Bierchen, die wir uns nach den immerhin 155 Kilometern von Jerusalem mehr als verdient hätten, wie er kundtut. Allzu viele Rennradler scheinen hier nicht vorbeizukommen, zumindest nicht Ende Februar.
Was für ein Ort, um auszuspannen. Wir wissen gar nicht wohin mit all den Eindrücken und Gedanken, die wir den Tag über gesammelt haben. Sogar das Essen ist heute gratis – offensichtlich sieht man uns die Strapazen an.
Tag 3: Mit Lastern nach Süden
Als am nächsten Morgen die Sonne über die jordanischen Berge steigt, steigen wir in den Sattel. In der Morgenkühle werden die Muskeln nur widerspenstig warm. Als wir jedoch wieder auf die „90“ abbiegen, wird es ernst. Der Lkw-Verkehr Richtung Süden ist intensiv – Dead Sea Works lässt grüßen. Bis zum Rand mit Kali beladene Dreiachser mit zweiachsigen Anhängern brausen an uns vorbei. „Vroooooaaammm!“ geht es im Zweiminutentakt.
Zum Glück fahren viele Trucks die Straße Nummer 25 hinauf Richtung Dimona, wir hingegen bleiben im Tal. An einer Tankstelle gibt es ein zweites Frühstück, ein nettes israelisches Mountainbiker-Duo – zwei Informatiker aus der Nähe von Tel Aviv – gesellt sich zu uns. Es wird fachgesimpelt.
„Hit the Road“ heißt es jedoch schon bald, denn Motivations-Ass Terry lässt so schnell nichts anbrennen. So flitzen wir weiter über den heißen Wüstenasphalt nach Süden. Der heutige Tag vergeht wie in Trance. Wir nehmen die Atmosphäre auf, pumpen in die Kurbeln was geht, lassen das Asphaltband unter uns durchrauschen…..
Schließlich sind wir wieder über Meeresniveau, überfahren fast unmerklich einen „Pass“. Ab hier geht es wieder hinab Richtung Eilat und Rotes Meer. Eine kleine Raststätte erscheint in der Ferne. Wir bekämpfen spontan unseren Unterzucker mit allerlei Leckereien.
Langsam rückt das Ziel, der Kibbuz Lotan, näher. Die Straße durchschneidet die Ausläufer der Negev, die Szenerie wird noch öder, sandiger, schroffer….man merkt, dass wir ungefähr auf dem Breitengrad von Kairo unterwegs sind. Schließlich, in der Ferne, etwas mehr grün als man hier erwarten würde. Linkerhand taucht in der Talniederung der Kibbuz auf. Wir setzen zum Endspurt an – und stehen vor einem beeindruckenden, verschlossenen Tor. Doch die Gegensprechanlage hilft uns weiter, der Sesam öffnet sich.
Drinnen empfängt uns eine drollig wirkende Ansammlung pittoresker Lehmhüttchen und ein äußerst netter Emfpangschef. Unsere Unterkunft ist angenehm kühl, geräumig und mit einer willkommenen Dusche ausgestattet. Wir läuten den Abend mit einem rustikalen Abendessen ein, das von einem aus Jekaterinburg stammenden russischen Koch im ansonsten leeren Kibbuz-Restaurant serviert wird. Terry hatte sich etwas mehr versprochen – bei mir stellt sich die auf Radreisen übliche „Hauptsache Kalorien“ – Philosophie ein uns so spachtle ich drauflos, dass es eine Freude ist. Ein Verdauungsspaziergang durch den Kibbuz und die gut gefüllte Bibliothek runden den Tag ab. Gute Nacht, Lotan!
Tag 4: Durch Hügel und Krater nach Mitzpe Ramon
Um sechs sind wir wieder auf den Beinen, gespannt, welche Geheimnisse uns die Wüste heute verraten wird. Das Frühstück ist recht rustikal, der russische Koch hat uns haufenweise Gemüse eingetütet. Terry will die im Kibbuz geernteten Tomaten und Gurken sowie diversen Süßkram zurücklassen. Mein Rucksack gibt jedoch genug Stauraum her und so nehme ich mit, was hineinpasst. Die Arbeit des Kibbuz soll nicht umsonst gewesen sein.
Träge strampeln wir den Zufahrtsweg hinauf. Langsam erhebt sich die Sonne und taucht die Berge im Westen in diesiges Licht. Die Straße 90 wird gequert und wir folgen der zunächst sanft ansteigenden 40 durch einen beeindruckenden Wadi. Alles wirkt wie die Kulisse eines Monumentalfilms…
Bald kommen erste steile Rampen, später ein paar hübsche Kehren, die jedem Alpenpass Konkurrenz machen. Ein erstes Anzeichen, dass der höhenmeterreichste Tag der ganzen Reise bevorsteht. Der Verkehr hat zum Glück deutlich nachgelassen. Etwa 400 Höhenmeter später stehen wir hoch über dem Tal und bestaunen die – wenn auch diffuse – Fernsicht.
Was nun folgt, ist für mich der radfahrerisch schönste Teil der gesamten Reise. Die Wüste mag monoton wirken – auf mich übt sie einen Zauber aus. Bei Gegenwind abweisend, harsch und rau – mit Rückenwind warm und mühelos.
Langsam aber sicher schieben sich Wolken vor die Sonne. Der Wind dreht. Der eingangs noch „lockere“ Tag verwandelt sich in eine Plackerei. Zudem macht Terry ein streikender Schalthebel zu schaffen und wir entscheiden uns ca. 30 km vor dem Ziel, getrennter Wege zu gehen. Terry flitzt mit einem Taxi, das wir glücklicherweise nach zehn Minuten anhalten können, nach Mitzpe Ramon, ich keule weiter gegen den kühler werdenden Wind.
Nach einem knackigen Anstieg über weitere 400 Höhenmeter folgt die fiese, von scharfem Gegenwind geprägte Passage des Kraterbodens des Machtesch Ramon, des größten Erosionskraters in der Negev. Als ich endlich den nördlichen Kraterrand bis auf über 800 m.ü.M. hinaufstrample, zähle ich die Kurbelumdrehungen. Endlich kommt das Ortschild. Ich verhasple mich kurz, erreiche aber bald „Desert Shade“, wo mich Terry, ganz intellektueller Sportler, im Radldress auf dem Sofa sitzend und in ein Buch vertieft empfängt.
Wiederum machen wir es uns in einem Hüttchen bequem, das in Sachen Komfort und Ausstattung keine Wünsche offenlässt. Von der Innenarchitektur könnte es genauso gut in Schlumpfhausen stehen, so gemütlich ist es. Ziv, der Chef, hat sich ganze Mühe gegeben, müden (Rad)Reisenden komfortable Schlafstätten zur Verfügung zu stellen.
Tag 5: Kratertag
Heute lassen wir es gemütlich angehen. Kein Aufbruch um 6:45 Uhr, sondern Frühstück bis 9:30 Uhr. Dekadenz! Geradezu unverschämt spät!! Anschließend wandern wir direkt am Kraterrand entlang, ehe wir einen besonders schönen Einstieg in die Tiefe finden. Die Sonne scheint vom wolkenlosen Himmel.
Sobald wir Mitzpe Ramon hinter uns lassen und in die bizarre Felsszenerie des Kraters hinabsteigen, wird es einsam. Steil schlängelt sich der Pfad hinab, ehe wir den Grund des Kraters und wenig später den trockenen Flußlauf an dessen tiefsten Punkt erreichen.
Surreal ist es hier – wie auf dem Mars. Es erinnert ein wenig an das Sun Valley um Phoenix herum, nur die Kakteen fehlen. Ein paar Schüler begegnen uns, ein älteres Ehepaar. Wie weit es denn noch sei, sie wollen den „Horseshoe“ zumachen.
Wir pausieren, versuchen die Dimensionen des gigantischen Erosionskraters, der ca. 45 x 25 km misst, zu erfassen, und stiefeln auf anderer Route zurück Richtung Kraterrand. Der finale Anstieg bringt uns ordentlich ins Schwitzen. Zwei Langstreckenwanderer bereiten sich auf ein längeres Wüstenabenteuer vor. Wie gerne würde ich jetzt einfach einen Monat durch das trockene, unendlich wirkende Nichts laufen und die Gedanken fließen lassen….
Aber wir haben einen straffen Zeitplan, und so genehmigen wir uns noch ein umfangreiches, verspätetes Mittagessen in Mitzpe Ramon und chillen anschließend auf den großzügigen Terassen von Desert Shade.
Tag 6: Endspurt nach Dimona
Am nächsten Tag sind wir schon um halb sechs auf den Beinen – ganz ohne Wecker. So ist das eben, wenn zwei Frühaufsteher unterwegs sind! Dass die heutige Etappe das Finale ist, hat sich bereits in den letzten Tagen abgezeichnet. Wir wollen noch etwas Zeit für Tel Aviv aufsparen. Und auf vierspurige Straßen haben wir schlicht keine Lust mehr. Dazu noch Terrys streikende Schaltung….
Also stehen heute „nur“ 72 Kilometer nach Dimona auf dem Programm. Dimona – das ist die israelische Atomstadt, um die sich zahlreiche Geschichten und Geheimnisse ranken. Die wohl bekannteste ist die um Mordechai Vanunu, der wegen Hochverrats eine mehrjährige Haftstrafe verbüßen muss….aber das ist wieder ein anderes Thema. Eine Radfahrt in eine „restricted area“ also – und in die südlichste Stadt Israels, die an das Bahnnetz angeschlossen ist.
Zuerst müssen wir jedoch an unsere Räder ran. Ziv hat sie am Vorabend in den Aufenthaltsraum der Lodge eingesperrt – er wollte uns offensichtlich einen Gefallen tun. Hier jemanden um 6:30 Uhr wach zu bekommen, ist jedoch so aussichtslos wie anmaßend. Nicht jeder ist ein schmerzfreier Frühaufsteher….
Also muss mein Multitool herhalten – wir verschaffen uns über einen provisorisch mit einer Plane abgedeckten Nebeneingang Zutritt und schmuggeln die Räder nach draußen. Endlich kann es weitergehen. Sorry, Ziv!
Finale mit Bahnhofssuche
Die Wüstenkälte auf fast 900 Metern raubt uns beim Losradeln den Atem. Doch heute geht es fast kontinuierlich abwärts, es kann also nur wärmer werden. Nach ein paar Kilometern taucht ein beeidruckender Gefängniskomplex auf der linken Straßenseite auf. Alcatraz in der Negev. Über allem die den Bodennebel verscheuchende Wüstensonne. Ein paar versprengte Siedlungen säumen die Straße.
Bald passieren wir Sede Boker. Hier befindet sich die letzte Ruhestätte Ben Gurions, des israelischen Staatsgründers. Einige Mountainbiker flitzen durch die Wüste, ein echt heißer Tipp für den nächsten Freeride-Trip! Der ruhigste Teil der ganzen Radreise beginnt. Über eine Nebenstraße erreichen wir Yerucham. Es herrscht Windstille – keine Autos – nur das Asphaltband, wir und Bushaltestellen im Nichts.
Ein elend langer Anstieg führt zum letzten „Minipass“ – ab hier rollen wir nur noch hinab nach Dimona oder besser gesagt in ein uneinladendes, westlich vorgelagertes Industriegebiet. Hier muss doch irgendwo der Bahnhof sein?! Wir geben fast schon auf und wollen nach einer Busverbindung suchen. Ich steuere zum Glück noch ein Gebäude in der Peripherie an, das ein wenig nach Bahnhof aussieht. Und siehe da – es ist der Bahnhof! In Dimona scheint man sich nur wenig Gedanken darüber zu machen, dass auch Ortsunkundige Bahnhöfe finden wollen…
Eine halbe Stunde später sitzen wir im einzigen (!) Waggon, der an der Lokomotive hängt. Mit uns ein knappes Dutzend israelischer Schaffner-Azubis, die Richtung Be’er Scheva zuckeln. Alle amüsieren sich köstlich über Terrys FC Bayern-Kippa. Das Gesprächsthema: israelisch-europäische Fußballver- und entwicklungen.
Ankunft in der großen Stadt
Bis Be’er Scheva ist es mit dem Zug nur eine gute halbe Stunde. Wir wechseln in einen größeren, gut gefüllten Zug. Militärangehörige fahren zu Shabbat nach Hause. Langsam bleibt die Wüste zurück, grüne Flecken mischen sich unter das Einheitsbeige.
Nach einer weiteren Stunde kommen wir auf dem Tel Aviver Hauptbahnhof HaShalom an und werden fast erschlagen. Die Stadt pulsiert, es wuseln Menschen durch das angrenzende Einkaufszentrum, wir müssen uns zwischen den Menschenmassen erst zurechtfinden. Beeindruckend nach all der Einsamkeit! Zum Glück führt uns Terrys Smartphone sicher zu unserem Air BnB.
Nach den harten Radltagen in der Wüste sind wir unternehmungslustig und stiefeln durch einen geschäftigen Markt ans Meer. Über die Strandpromenade geht es Richtung Jaffa und erleben einen zauberhaften Sonnenuntergang in der Altstadt. Was für ein Abschluss für diesen Tag!
Tag 7: Entspannen in Tel Aviv
Wir lassen den Urlaub ausklingen und müssen uns erst an den Entspann-Modus gewöhnen. Um acht gibt’s ein gemütliches, reichhaltiges Frühstück mit Muesli und leckerem Kaffee, dann eine große Bauhaus-Sightseeing-Runde. Nirgends gibt es auf so engem Raum so viel Bauhaus-Architektur zu sehen wie hier. Beeindruckend!
Als überzeugten Radlern fällt uns schnell auf – Tel Aviv ist radfreundlich. Wir sehen unzählige Radfahrer – zwar nicht so viele wie in Deutschland, aber doch so viele, dass man von einer Radfahrerstadt sprechen kann. Mehr als die Hälfte davon ist allerdings mit überschallschnellen E-Bikes unterwegs.
Am Strand wagen wir den Sprung ins kühle Mittelmeer. Ende Februar sind noch nicht allzu viele Schwimmer unterwegs. Für uns ist es jedoch eine willkommene Erfrischung! Anschließend ziehen wir in ein anders Air BnB um. Terry trifft noch eine Freundin, ich entschließe mich zu entspannen und ein wenig zu schlafen. Schließlich rücken wir am Abend nochmal aus, um mit Joel und Susanne, ebenfalls zwei Freunden von Terry, Abend zu essen. Wir lassen die Reise im Gespräch Revue passieren. Spannend war’s schon – aber sehr, sehr schön!
Rennradeln in Israel – ein Resumée
Kann ich das Rennradeln in Israel empfehlen? Ja! Wer möchte, kann hier das ultimative, individuelle Rennrad-Abenteuer in einer spektakulären, von Sightseeing-Highlights gespickten (Kultur)Landschaft erleben. Klar, man muss ab und zu aufgrund des Verkehrs hart im Nehmen sein. Aber das muss man auch auf Alpenpässen oder auf Mallorca. Die Straßen-Probleme zu Beginn? Sind für mich als einmalige Erfahrung verbucht. So wissen wir wenigstens, was wie beim nächsten Mal besser machen können. Wer es komfortabler haben will, kann auch organisierte Radreisen buchen, zum Beispiel bei gordonactive.com.
Vielen Dank an:
- VAUDE für die großartige Unterstützung bei der Ausrüstung
- Terry Swartzberg – Du bist der beste Reiseleiter, den man sich beim Rennradeln wünschen kann!
- Roy Kapach von der Israeli Cycling Federation für die Routentipps
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