Auf die Hohe Riffl – öde Winkel in den Hohen Tauern
Das Ziel: Die Hohe Riffl in den Hohen Tauern. Der 3338 Meter hohe Berg verspricht einen schönen Blick auf Großglockner samt Pasterze und einen Zustieg durch einen wilden Talkessel. Über eine Tour, bei der es uns fast das Zelt weggeweht hätte.
Ödenwinkel. Allein der Name lässt in meinem Hinterkopf schon eindrucksvolle Bilder verlassener Berglandschaften erscheinen. Wir wollen die Hohe Riffl durch den Ödenwinkel besteigen, und dabei noch möglichst weit oben biwaken. Mit von der Partie sind Martin, Gunther und Felix samt Ronja, ihres Zeichens der weltbeste marokkanische Bergsteigermischling.
Nach rasanter Fahrt über Achensee, Kitzbühel und Paß Thurn kommen wir um halb zehn abends am Enzinger Boden an, gönnen uns noch ein Bier im „Alpengasthof Enzingerboden“ und hüpfen wenig später in die vorreservierten Kojen.
Verwachsener Bergweg
Am nächsten Morgen schultern wir nach einem reichhaltigen Frühstück und viel Kaffee unsere Rucksäcke, gehen ein Stückerl Richtung Talstation der Rudolfshütten-Seilbahn und halten uns dann aber etwas mehr links, um den eingewachsenen Weg hinauf Richtung Tauernmoossee einzuschlagen. Nachdem offenbar viele Leute die Seilbahn benutzen, finden wir einen wunderbar abwechslungsreichen und kaum ausgetrampelten Pfad vor, der uns Kehre um Kehre höher bringt. Ein weiterer Weg mündet von rechts ein, kurz vor der Dammkrone des Tauernmoossee-Staudamms treffen wir auf einen breiten Fahrweg. Hier ist es mit der Bergeinsamkeit erst einmal vorbei, denn zahlreiche Wanderer sind von der Rudolfshütte aus auf Kurztrips unterwegs. Wir werden gewarnt: Es sei wegen der Sprengarbeiten unmöglich, dem Weg weiter Richtung Ödenwinkel zu folgen!
Es kommen uns jedoch weitere Wanderer aus dem angeblichen Gefahrenbereich entgegen, und wir schlagen alle Warnungen in den Wind. Weiter hinten am Tauernmoossee sehen wir, dass zwar tatsächlich an neuen Kraftwerkseinrichtungen gearbeitet wird, die Sprengungen jedoch bestens abgesichert sind und vorher mehrmals akustisch gewarnt wird. Von einer kompletten Wegsperrung kann jedenfalls keine Rede sein. Nachdem wir die Baustelle hinter uns gelassen haben, kommen wir langsam dem gewaltigen Wasserfall näher, der den Weißsee entwässert. Hier erhaschen einen ersten Blick auf den Johannisberg (3453m) und die wilden Wandfluchten, die den Ödenwinkel eingrenzen. Was für ein wilder und einsamer Flecken Erde! Die Menschen scheinen sich nicht weit von der Rudolfshütte entfernen zu wollen. Das ist uns ganz recht. Wir genießen die Einsamkeit.
Das Ödenwinkelkees hat sich, im Vergleich zu unserer AV-Karte, weit zurückgezogen. Es dauert lange, ehe wir nach viel Geröll, Schutt und Pionierbewuchs endlich den schuttbeladenen Gletscher betreten. Doch wo geht es jetzt am besten lang?
Wo ist der Gletscher?
Wie an so vielen Orten ist der Gletscher nicht mehr der, der er mal war. Gut, wir haben nichts anderes erwartet – trotzdem ist die Orientierung deutlich schwieriger geworden. Der Übergang von der Rudolfshütte über das Kees Richtung untere Ödenwinkelscharte, der einst am Gletscher auf Höhenlinie verlief, macht nun rund 100-150 Höhenmeter Verlust. Der Gletscher sieht in jedem Fall anders aus, als wir das antizipiert haben, und wir müssen einiger Extraschleifen gehen. Nachdem wir den ursprünglichen Plan, im Gletschervorfeld zu zelten, verworfen haben, peilen wir schließlich einen rund 2600 Meter hoch gelegenen Gletscherrandsee an.
Um dorthin zu kommen, müssen wir allerdings eine äußerst bröselige Randmoräne hinauf – mit dem schweren Rucksack kein gerade leichtes Unterfangen. Ein Schritt vor, zwei zurück… Langsam wird das Gelände jedoch flacher. Wir finden traumhafte Zeltplätze und, nach kurzer Suche, ein besonders schönes Plätzchen an einem kleinen Tümpel.
Hund weg!
Einmal passen wir nicht auf, und Ronja stürmt einer flüchtenden Gams hinterher. Mist! Zum Glück kann die Gams Reißaus nehmen. Leider gibt Ronja jedoch derart Gas, dass sie sich die Pfoten wund läuft. Danach ist sie so k.o., dass sie sich 200 Meter entfernt hinlegt. Da sind wohl die marokkanischen Jagdgene mit ihr durchgegangen….
Felix ist wie Ronja ein echt harter Hund und legt sich noch zu einem abendlichen Bad in den eiskalten Tümpel. Sackerl Zement! Anschließend sind schnell die Zelte aufgebaut und ein warmes Essen brodelt auf dem Kocher.
Sturm, mal wieder
Die Nacht beginnt vielversprechend und sternenklar. Bald jedoch frischt der Wind auf und beginnt an den Zelten zu rütteln und zu schütteln. Wir haben die größte Mühe, unsere Zelte auf dem sandigen Boden aufrecht zu halten und klopfend fluchend den ein oder anderen Häring wieder fest. Nach einer mehr oder weniger entspannten Nacht überlegen wir, ob wir bei dem Sturm überhaupt Richtung Johannisberg (den wir eigentlich als zweiten Berg mit eingeplant haben) und Hohe Riffl losstarten sollen. Beim Zusammenlegen der Zelte weht es mir zudem im hohen Bogen die nagelneue Zeltunterlage davon – sie landet irgendwo 200 Höhenmeter weiter unten am Gletscher. Am Ende überwiegt dann aber die Lust auf den Berg, und wir nehmen den steilen Anstieg Richtung obere Ödenwinkelscharte in Angriff.
Der Weg schlängelt sich steil und abwechslungsreich durch sandig-gerölliges Gelände, nimmt eine Steilstufe hier und eine Reiße dort mit und mündet schließlich in die 3228 Meter hoch gelegene Scharte. Beeindruckend – wir stehen hier am obersten Ende der Pasterze und direkt gegenüber liegt die Oberwalderhütte, von der schon einige Seilschaften gestartet sind.
Der Sturm fegt nun richtig heftig von Westen her und wir entscheiden uns schnell, nur die Hohe Riffl zu besteigen und den etwas anspruchsvolleren Nordwestgrat des Johannisbergs rechts liegen zu lassen. Kurz betreten wir den obersten Rand der Pasterze, seilen sicherheitshalber an und kraxeln dann den einfachen Gipfelaufbau der Hohen Riffl bis zum höchsten Punkt. Die Aussicht ist beeindruckend, wenn auch der König der Hohen Tauern, der Großglockner, hin und wieder in den Wolken verschwindet. Zwei Tschechen kommen von der Oberwalderhütte aus am Gipfel an, wir ratschen kurz.
Nach der obligatorischen Foto- und Esspause machen wir uns an den Rückweg. Im Steilstück unter der Scharte kommen uns zwei Österreicher entgegen – neben den Tschechen die einzigen anderen Bergsteiger, die wir oberhalb der ausgetretenen Pfade um die Rudolfshütte überhaupt treffen.
Zurück zur Hütte
Die Zelte haben wir bereits am Morgen zusammengelegt, und so geht es nach dem Zusammenpacken flink hinüber Richtung Rudolfshütte. Für den Rückweg zum Enzingerboden wollen wir dann doch die Seilbahn in Anspruch nehmen…
Unglaublich, wie sich die Umgebung des Ödenwinkelkees durch den Rückzug des Eises verändert hat. Zwar habe ich kein Vergleichswerte, da ich das erste Mal da bin, es ist jedoch augenfällig, wie die Randmoräne förmlich und riesengroße Blöcke wie Legosteine durcheinandergeworfen werden. Der Weg Richtung Hütte zieht sich. Wir nehmen daher erst einmal eine kräftigende Suppe zu uns, ehe wir den riesigen Bau, der nach all den Natureindrücken etwas fehl am Platz wirkt, Richtung Seilbahn verlassen.
In rund 15 Minuten schweben wir wieder hinab zum Enzinger Boden – mit einem fast schon wehmütigen Gefühl im Bauch. Das war eine echt abwechslungsreiche Tour in einen wilden und zerworfenen Winkel der Tauern!
Technische Daten zur Tour:
Unterkunft: Rudolfshütte, Alpengasthof Enzingerboden
Zeit: Enzingerboden – Tauernmoossee: 2h; Tauernmoossee – Biwakplatz 3h; Biwakplatz – Hohe Riffl 2,5h