Aller guten Gipfel sind Sieben
Auf einer 26 Kilometer langen Schneeschuh-Runde mit gut 1900 Höhenmetern über bekannte Wander- und Skitourengipfel nur vier Menschen treffen. Wo geht denn sowas? Direkt neben Lenggries.
Bahnhof Lenggries, 10:45 Uhr. Die Türen der leicht verspäteten BOB aus München schließen sich. Noch schnell ein paar Wurstsemmeln, Cola und Süßkram gekauft, und ich mache mich von den Socken. In einer knappen halben Stunde bin ich am Schloßweiher und damit weg vom Trubel.
Ab hier geht es wirklich bergauf. Aber wo zum Geier ist der Schnee? Jedenfalls nicht am Westrücken des Geierstein. Ein Schneeschuhgeher kommt mir entgegen, Schneeschuhe am Rucksack, leicht verdatterter Gesichtsausdruck. Sag bloß, dem Armen ist gar kein Schnee begegnet?
Wo ist der Schnee?
Zu meiner Erleichterung kommt er dann doch noch, der Schnee. Ab ca. 1300 Meter liegt sogar eine durchgehende Schneedecke, und ich erreiche den 1491 Meter hohen ersten Gipfel meiner Runde, den Geierstein. Ich halte mich nicht lange auf und folge dem schmaler werdenden Ostkamm des Geiersteins, bis sich der Weg langsam zur 1261 Meter hoch gelegenen Einsattelung Richtung Fockenstein senkt. Immerhin – der Schnee wird mehr, und ich erspähe ein älteres Paar – die letzten Menschen, die ich heute treffen werde.
Wenig später lege ich die Schneeschuhe an und nehme den 1564 Meter hohen Fockenstein in Angriff. Auf dem nahezu aperen Gipfel zeigt sich nach Westen ein etwas düsterer Blick auf Zugspitze und Karwendel, die Eintrübung von Schwaben her hat Teile des Wettersteins erfasst, es sieht nach nahendem Schneefall aus. Über das Neuhütteneck und unverspurte (!) Hänge erreiche ich schließlich den Hirschtalsattel, mit 1224 Meter die niedrigste Einsattelung der Runde.
Latschenkampf
Der nun folgende Teil des Pfads hinauf Richtung Kampen ist mir gut bekannt – und so spielt es keine Rolle, dass heute nicht gespurt ist. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn der steile Weg durch Latschengassen lädt nicht gerade zum Winterwandern ein. Zum Teil ist der Pfad so tief verblasen, dass ich trotz Schneeschuhen bis zum Oberschenkel einbreche. Die wild wuchernden Latschen tun ihr übriges, um die 370 Höhenmeter Aufstieg zum Ochsenkamp zum mit Abstand anstrengendsten Teil der Runde zu machen.
Windig ist es hier oben, und so ziehe ich das erste Mal meine Gore-Jacke über, bewundere die spektakulären Lichtverhältnisse Richtung Tegernsee und Hirschberg und ziehe bald eine einsame Spur Richtung Auer- und Spitzkamp. Ersterer ist nicht viel mehr als eine Erhebung im Kammverlauf, der Spitzkamp hingegen hat seinen Namen verdient und schaut von Osten wie ein verkleinertes Matterhörnli aus. Ich bleibe fast immer auf der Kammhöhe. Es ist keine Menschenseele in Sicht und auch das Gipfelbuch des Spitzkamp verzeichnet keine einzige Besteigung seit Mitte Januar.
Nun kommt ein steiler Abstieg mit Seilversicherung Richtung Brandkopf. Ein großer Felsblock droht direkt über dem Weg auszubrechen und ich bin direkt froh, dass ich heil im 1520 Meter hohen nächsten Sattel in der Nähe der Mühltalalm ankomme. Nicht einmal mehr 80 Höhenmeter trennen mich vom sechsten Gipfel, dem sonst so beliebten Seekarkreuz. Doch auch hier zeigt sich gähnende Leere. Kein Mensch weit und breit. Dafür der Spruch „Schneeschuh gehen macht schwul“, hübsch mit Edding auf das nagelneue Gipfelkreuz gekritzelt. Hmm. Ich sag nur: glückliche Gay-Szene in Alaska!
Und noch einer
Ich hatte bisher nur mit dem Gedanken gespielt, den Schönberg auch noch in die Runde einzubauen. Die Beine fühlen sich tatsächlich noch so gut an, dass ich nicht Richtung Lenggrieser Hütte absteige, sondern mich bald nach links Richtung Maria Eck wende. Der nun folgende Wegabschnitt ist der einzige, den ich in dieser Runde noch nie gegangen bin. Ein kleiner Felsgupf muss hier mit einer Eisenleiter überwunden werden, die Voralpen zeigen sich von ihrer rauhen Seite. Eine Mini-Ferrata!
Auch hier scheint schon länger niemand mehr gegangen zu sein, und nach reichlich Wühlarbeit bin ich direkt froh, dass ich direkt bei Maria Eck wieder auf ordentliche Skitouren – und Schneeschuhspuren und schließlich auf die mir wohlbekannte Aufstiegsspur Richtung Schönberg treffe. Eigentlich sind es nur noch rund 160HM zum Gipfel – doch die ziehen sich. Um zehn nach fünf erreiche ich den 1620 Meter hohen und damit höchsten Gipfel der Runde. Ich habe nun rund 1900 Höhenmeter und 18 Kilometer in den Beinen. Für ein quasi-Nachmittagsprogramm gar nicht so schlecht.
Schnee ade!
Nach einer „ausgiebigeren“ Pause mache ich mich um kurz vor halb sechs wieder vom Acker, folge knapp 100 Höhenmeter der Aufstiegsspur und quere dann links raus in zunächst unverspurten (!) Pulverhang. Ordentliche Powder-Verhältnisse – allerdings auch nur für 200 Höhenmeter ab Gipfel. Dann kommen erste arg zerfahrene Engstellen und ich bin direkt froh, hier nicht mit den Skiern durchackern zu müssen. Ab 1300 Meter Seehöhe wird der Schnee zunächst sulzig, bei der Engstelle an der Bachquerung kann von solider Schneeunterlage keine Rede mehr sein. Zahllose Skitourengeher, Schneeschuhfans und anderes Bergsteigervolk haben eine abgeschabte Piste mit jeder Menge Steinen hinterlassen. Nur mit den sprichwörtlichen Steinski wäre hier noch etwas zu machen, mit dem Splitboard wäre die Abfahrt sowieso kein Spaß mehr.
Bald befinde ich mich auf den Serpentinen hinab Richtung Bauernrast, unter 1000 Meter wird die Schneelage, zumindest auf dem Fahrweg, wieder erstaunlich gut. Es ist dunkel geworden, ich lege die Schneeschuhe wieder ab und tanke an einem kleinen Bachlauf Wasser. Mit Stirnlampe nehme ich den Fahrweg Richtung Lasseln, Mühlbach und schließlich Hohenburg, rechtzeitig vor Ladenschluss komme ich gegen 19:20 Uhr beim Lenggrieser Tengelmann an und fülle meine Energiereserven auf. Für die knapp 26km lange Runde habe ich brutto 8,5 Stunden gebraucht. Um 19:48 Uhr geht die nächste BOB zurück nach München. Uff!