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Bergtouren

Wetterstein spontan

Ich sitze im Zug Richtung Innsbruck. Keine Ahnung, wo es heute hin gehen soll. Ich habe einen Rucksack mit Brotzeit dabei und will einfach mal sehen, wo mich meine Intuition hinführt. Spontaneität ist gefragt! Der Garmischer Bahnhof zieht am Zugfenster vorbei, langsam kristallisiert sich vor meinem inneren Auge ein Ziel heraus: der Kleine Solstein im Karwendel.

Was das Ziel angeht, rudere ich bei der Fahrt Richtung Mittenwald jedoch schnell wieder zurück. Richtung Wörner, Tiefkarspize und Dammkar liegt sakrisch viel Schnee. Also fahre ich nicht wie geplant bis nach Gießenbach – sondern steige schon in Mittenwald aus dem Zug.

Etwas verplant steuere ich durch die Karwendelmetropole und schlage am Ende den Weg Richtung Ferchensee ein. Obere Wettersteinspitze über Gamsanger wäre doch eine Möglichkeit, denke ich mir. Ist niedriger als der Kleine Solstein. Sollte also machbar sein. Auf der Fahrstraße Richtung Ferchensee treffe ich einige wenige Autos, die zu den letzten Häusern fahren, und ein paar Wanderer.

Bunter Geselle am Schützensteig

Bald bin ich allein, und biege links Richtung Schützensteig ein, der zu Beginn auch zur Oberen Wettersteinspitze leitet. Am Abzweig vom Schützensteig Richtung Wettersteinspitze jedoch Ernüchterung. Es hat verflixt weit runtergeschneit. Schmelzwasserbächlein sprudeln durch den Bergwald. Der 2297 Meter hohe Berg zeigt sich abweisend, der Gipfel liegt in Wolken. Nachdem ich weiß, dass es oben ein wenig steiler und ausgesetzt wird und ich kein Risiko eingehen will, gebe ich der Vernunft nach und wende mich wieder dem Schützensteig zu, folge ihm Richtung Wettersteinalm.

Der Weg windet sich auf und ab, macht Schlenker durch kleine Tälchen und überwindet mehrere kleine Bäche. Es ist ein wunderbarer Pfad und ich wünsche mir, dass er niemals aufhören würde. Immer wieder öffnen sich wunderbare Blicke auf Elmau, den Wetterstein, Wank, Estergebirge…

Spontan auf die Meilerhütte

Mein Plan, über den Schützensteig und die Partnachklamm direkt nach Garmisch zu gehen, bekommt eine jähe Wendung. Ich habe zwar kein Schlafzeug dabei – warum aber nicht einfach hinauf zur Meilerhütte stiefeln und dort übernachten? Sie müsste eigentlich noch offen haben und wenn nicht, gibt es den wunderbaren Winterraum.

Als ich über das nächste Joch blicke, wird der Blick Richtung Alpspitze und Schachen frei (Leider übersehe ich, dass ich über das Angerlloch direkter zur Meilerhütte aufsteigen könnte – beim nächsten Mal dann). Erste Schneeflecken zeigen sich hier oben – Schneegrenze 1900 Meter. Ich lasse mir einen kleinen Snack schmecken, gehe kurz hinab zum Fahrweg zum Schachen und starte durch. Direkt oberhalb, dort, wo der Weg eine erste schmale Stelle passiert, schließt sich die Schneedecke. An den steileren Stellen des Meilerhütten-Aufstiegs, wo der Weg in den Fels gesprengt wurde, ist es noch Schneematsch, am Frauenalpl wird es dann richtig pulvrig.

Noch ist mir nicht klar, ob die Hütte überhaupt offen hat. Ein Blick in die breite Rinne, an deren oberen Ende die Hütte wir ein Adlerhorst thront, macht jedoch schnell klar – sie hat noch offen! Die offenen Fensterläden verraten es.

Meilerhütte und Zugspitze

Als ich oben ankomme, macht sie jedoch wieder einen geschlossenen Eindruck. Der Wind fegt Pulverschneefahnen über die Terrasse. Keine Fußspuren, keine Stimmen, nichts. Einsam und verlassen liegt das Leutascher Platt unter mir.

Vorsichtig betrete ich den Eingangsbereich. Nichts zu sehen. Ich ziehe meine Schuhe aus, schaue vorsichtig ums Eck. Alles dunkel. Erst als ich links die Türe zum Gastraum öffne, bemerke ich die Hüttenwirtin in der Küche. Sie und ihre Küchenhilfe sind wohl genauso erschrocken wie ich. Das Wetter war die letzten Tage so mies, dass die beiden gar nicht mehr auf Besuch eingestellt sind. Wie zu erwarten bin ich der einzige Gast auf der Hütte….

Ich lasse mir noch eine Würstlsuppe warm machen, gehe zum Sonnenuntergang auf die Westliche Törlspitze (von der Hütte in fünfzehn Minuten zu erreichen) und verschwinde bald im obersten Stockwerk im Bett. Es ist a****kalt, kein anderer Mensch hilft mir beim Aufwärmen des riesigen Schlafraums.

Morgenstimmung an der Dreitorspitze

Am nächsten Morgen gibt es ein übersichtliches Frühstück – die Küche ist Ende der Saison schon im Zwiebackmodus. Ursprünglich hatte ich vor, einfach postwendend wieder abzusteigen. Immerhin ist die 2366 Meter hohe Meilerhütte schon ein Gipfelziel für sich…

…aber wie man es so kennt – es juckt halt doch in den Beinen. Die Partenkirchener Dreitorspitze (2633m) wäre über den Hermann von Barth-Steig schnell zu erreichen. Aber bei dem Neuschnee? Ein Versuch ist es wert. Die abkürzende Querung hinüber in die obersten Schutthänge des Leutascher Platt habe ich als recht harmlos in Erinnerung. Ein mit Stahlseilen garniertes Felsband ohne Schwierigkeiten, von der obligatorischen Trittsicherheit, die man mitbringen muss, einmal abgesehen.

Umdrehen an der Dreitorspitze

Doch heute zieht mir die Querung gleich zu Beginn die Zähne. Gut, ich bin nicht so wahnsinnig schwindelfrei und alpines Klettern über einem IIIer gehört nicht zu meinen Spezialitäten – aber egal, die bis zu 40 cm Neuschneeauflage machen den Steilhang so oder so zu einem kleinen Hasardeurspiel. Ich habe keine Steigeisen dabei und will zudem nicht, dass mir der ganze Schneehang auf die Pelle rückt.

Das bedeutet gute 100 Höhenmeter Abstieg Richtung Leutascher Platt, um den steilen Part zu umgehen. Sobald ich im flacheren Gelände queren kann, schwenke ich nach rechts um und peile die Schutreißn knapp rechts der Falllinie des Dreitorspitz-Gipfels an. Der Wind hat hier ganze Arbeit geleistet. Auch hier unten liegen 30-40cm Schnee, keine Spur ist zu sehen.

Mühsam wühle ich mich den sich unter dem Schnee schwach abzeichnenden Weg hinauf, bis ich unter der „Ostwand“ der Dreitorspitze stehe. Kleinere Schneerutsche zeigen, dass durchaus etwas von oben herabkommen könnte – wenn auch keine Riesenlawine.

Tiefschnee im Klettersteig

Schließlich habe mich bis ans untere Ende der Steiganlage herangewühlt. Gut gesichert führt hier ein bei sommerlichen Verhältnissen einfacher Klettersteig die letzten 200 Höhenmeter hinauf auf den Gipfel. Heute verschwindet alles unter einer dicken Schneeschicht. Eiszapfen hängen an den Stahlseilen.

Soll ich es probieren? Wieso nicht. Zunächst geht es besser als gedacht. Zwar muß ich hie und da ganz schön Stufen dreschen, aber es läuft. Wie auf einer Leiter steige ich hinauf, das Leutascher Platt sinkt zurück, meine Stapfspur windet sich hinab bis unter die Meilerhütte. Immer noch ist keine Menschenseele zu sehen. Schließlich komme ich an eine Stelle, an der die Seilsicherung für ein paar Meter aussetzt. Unter mir sind bereits gute 150 Meter Luft, und ich habe weder Pickel noch Steigeisen dabei.

Alpspitze am Morgen

Nach kurzer Überlegung kehre ich weniger als 100 Höhenmeter unter dem Gipfel um. Ist mir heute zuviel Risiko. Nach einer Knipspause klettere ich wieder ab, rutsche über die Schneefelder bis unter die Meilerhütte, sammle meine restlichen Sachen ein und starte Richtung Garmisch. Gipfelthema beendet!

Da ich recht früh gestartet bin – um viertel nach sechs verließ ich bereits die Hütte – kann ich nun durch die glasklare Morgenluft einen Blick Richtung Alpspitze genießen, der seinesgleichen sucht. Oben verschneit und unten frühherbstlich verfärbt liegt der Garmischer Hausberg da. Atemberaubend!!

Schließlich wandere ich wieder hinunter über das Frauenalpl Richtung Schachen, genieße den Ausblick ins Reintal und Oberreintal, gieße mir in der Wirtschaft am Schachen noch einen Kaffee hinter die Binde und mache mich dann über Schachen-Fahrweg, Kälbersteig und Partnachklamm auf den Rückweg nach Garmisch, wo ich gegen Mittag ankomme.

Partnachklamm

 

 

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